Eine Erzählung, egal ob lang oder kurz, wird von den in ihr handelnden Figuren und ihrem Charakter getragen, für deren Entwicklung ich als Autorin sorge. Ich bin die Schöpferin, präge durch die Festlegung ihrer Eigenarten, was die Figuren wie erzählen, wie sie den Fortlauf meiner Geschichte prägen und bestimmen. Damit die Leserschaft diese Charaktere möglichst lebhaft nachvollziehen kann, sind ein paar Schritte nötig, bevor ich mit dem Schreiben beginne. Welche das sind und wie ich meinen Protagonist:innen Leben einhauche, erkläre ich in diesem Beitrag.
Aus dem echten Leben gegriffen
„Das Leben erzählt die besten Geschichten.“ Dieser allgemein bekannte Satz stimmt. So was von. Als Autorin nutze ich meine Beobachtungsgabe. Ich lasse Szenen, Stimmungen, Begebenheiten auf mich wirken. Schaue mir an, wie andere sich verhalten, wie ich selbst reagiere. Höre zu, wenn andere mit mir oder neben mir sprechen. Beobachte ihre Gestik, reflektiere, wie diese auf mich wirkt.
Notiere Äußerlichkeiten, Eigenarten, Macken und Eigenschaften, die eine Reaktion auslösen. In mir, bei anderen. Ich erlebe die Natur, Wärme, Kälte, Hitze, Regen. Weiß, wie jemand mich auf die Palme bringen kann, kenne Liebe und Schmerz aus eigener und erzählter Erfahrung. Kenne junge Menschen und Kinder, Erwachsene und Alte. Sehe Tiere und Pflanzen, kenne biologische und chemische Zusammenhänge.
All das – und noch viel mehr – notiere ich. Merke ich mir und erstelle mir nach und nach meinen individuellen Baukasten. Die Entwicklung meiner fiktiven Figuren bildet somit die Basis für ihren Charakter und meine Erzählung.
Mein individueller Figuren- und Charakter-Baukasten
Meine aus dem echten Leben gegriffene Sammlung an Details schafft nachvollziehbare, authentische Figuren und Charaktere. Meine Protagonisten können dem echten Leben entsprechen oder rein fiktiv sein. Je besser ich sie für mich vorab beschreibe, desto nachvollziehbarer und lebendiger kann ich sie in meiner Geschichte für die Leserschaft in Szene setzen.
Bevor ich eine vielschichtige Erzählung beginne, habe ich meine Handelnden klar vor Augen, bestenfalls in Notizen zur Hand. Ich ersinne die Figuren, ihren Charakter so detailliert wie möglich, um sie für mich während des Schreibens als quasi lebendige Vorlage jederzeit um Rat zu fragen. Als ihre Schöpferin bediene ich mich ihrer sozusagen – in dem ich von ihnen erzähle, sie durch mich gleichzeitig ihre Stimme erheben. Jede meiner Figuren hat im Prozess ihrer Entwicklung von mir ein Eigenleben bekommen, das ihren Charakter ausdrückt und für meine Erzählung wesentlich ist.
Wie werden Figuren lebendig?
Ich schreibe für jede meiner Charaktere einen eigenen Steckbrief. Ich überlege mir zum Beispiel genau,
- was sie mögen und was nicht,
- wie sie aussehen,
- was sie als Kind erlebten und
- wie ihre Schulzeit war.
- Welche Freunde und Familien sie umgaben,
- was sie prägte.
- Welchem sozialen Umfeld waren sie ausgesetzt,
- welche Talente haben sie und
- welche Zufälle kreuzten ihren Weg.
Diese Liste dient nur als Anhaltspunkt – je nach Genre und dem Thema deiner Erzählung kannst du sie ergänzen, verändern und andere Schwerpunkte setzen. Deiner Kreativität und Fantasie sind keine Grenzen gesetzt!
Je intensiver und ausführlicher du diese Überlegungen machst und notierst, desto reicher werden deine Charaktere. Deine Figuren erwachen so Stück für Stück zum Leben, je mehr du dich in sie hinein versetzt.
Dabei kannst du selbst Erlebtes und dazu Erfundenes verweben und komplexe Figuren und Persönlichkeiten entwickeln. Erst dadurch können sie authentisch und nachvollziehbar in der späteren Handlung aufeinander treffen und miteinander kommunizieren.
Ein Akademiker wird keine Gossensprache nutzen, eine ungelernte Hilfskraft aus dem Hamburger Hafenviertel nicht auf Französisch fluchen; eine Siebzehnjährige wird ihr Selbstbewusstsein womöglich nur vortäuschen, ein junger Doktorand im Theoretischen perfekt, im Praktischen jedoch unsicher sein. Eigenes Erleben und Beobachtungen von Dritten kannst du ebenfalls in diese Personen hineindichten.
Als Autorin „verdichte“ ich sozusagen meine Figuren im reinen Wortsinne.
Auch eigene Wunschvorstellungen kann ich in meinen Figuren zum Leben erwecken, frei nach dem Motto: So würde ich auch gern einmal sein, so fluchen können, so ignorant, so bösartig, oder eben auch gerade nicht.
Je genauer ich die Charaktere schon vor dem Schreiben der Geschichte entwickelt und definiert habe, umso lebensechter erblühen, handeln und fesseln sie im Verlauf meiner Erzählung.
Woraus besteht ein Charakter?
Die Entwicklung einer Figur umfasst somit sowohl
- Äußerlichkeiten (Frau, Mann, Kleidungsstil, Körper etc.),
- Wesenszüge (freundlich, geizig, stur etc.) und
- Prägungen, Erlebnisse, Fähigkeiten (ein Einzelkind ist anders groß geworden als ein Zwilling, Urlaub, Unfälle, Fremdsprachen, Behinderungen, Beruf etc.).
Achtung: Die für die Charaktere entwickelten Stichpunkte müssen nicht automatisch in der Erzählung zum Tragen kommen! Sie können dir als reine Hintergrundinformation dienen, aber Konfliktpotential enthalten, das im Verlauf der Geschichte an die Oberfläche kommt.
Zum Beispiel wird oftmals ein Nichtraucher vom Qualm Rauchender abgestoßen; wer die Sprache eines Landes spricht, wird im Ausland einiges verstehen, z. B. könnte das zufällig mitgehörte Gespräch eines Telefonierenden einen Bombenbauer entlarven.
Durch eine gründliche Figuren- und Charakter-Entwicklung wirst du viele Informationen ansammeln, die du beim Schreiben deiner Geschichte nach und nach einfließen lassen kannst. Die deinen roten Faden der Erzählung unterstützen, halten und voranbringen. Ganz sicher werden im Laufe des Schreibens noch weitere Ideen aufkommen, die deine Figuren noch facettenreicher werden lassen.
Lass dich tragen vom Leben und deiner Fantasie, du allein bestimmst, welche Wege deine Charaktere gehen 🙂
Von Erfolgsautorinnen lässt sich übrigens ebenfalls sehr viel lernen. Wie die britische Schriftstellerin Jojo Moyes ihre Figuren entwickelt, habe ich bereits 2023 in einem eigenen Blogartikel erzählt. Die Lesung mit ihr war großartig!
Das Thema Figuren- und Charakter-Entwicklung ist nur eines von vielen, die ich in meinen Kursen für Kreatives Schreiben aufgreife und mit dir übe. Hast du Lust bekommen, mit mir zu arbeiten?
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Liebe Grüße Gabi.
Gabi Kremeskötter
Liebe, die durch Worte strahlt
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Liebe Gabi,
Du warst schon wieder so fleißig, während ich auf dem Wasser weitestgehend offline war. Aber jetzt ist eher Hafenzeit, bald auch Heimathafen, da habe ich wieder mehr Netz und kann alles nachlesen.
Deine Hinweise zur Charakter-Entwicklung sind echt interessant. Bei mir hapert es tatsächlich oft an der Beschreibung des Äußeren. Ich habe ein Bild vor Augen und setze das beim schreiben einfach voraus. Lese ich dann das Geschriebene, fällt mir das auf und ich muss nacharbeiten….. Ist mir gerade während meiner offline Zeit deutlich aufgefallen.
Liebe Grüße
Britta
Liebe Britta,
danke für deinen Kommentar – genieße du unbedingt die letzten Tage auf dem Wasser, ruckzuck ist euer Boot wieder an Land und der laaaange Herbst-Winter fängt an. Ich freue mich, dass ich dir mit meinem Blogartikel vor Augen führen konnte, was dir helfen wird hoffentlich, deine Bilder im Kopf auch nach außen und aufs Papier zu transportieren 🙂
Übung macht die Meisterin!
In diesem Sinne viel Schreibfreude,
Gruß Gabi