Wie entwickelt Jojo Moyes ihre Figuren?

Veröffentlicht am Kategorisiert in Kreatives Schreiben
Hand einer Person mit lackierten Fingernägeln schreibt mit einem gelben Kugelschreiber in ein Notizbuch
Adjektive und Verben - wie bestimmen sie den persönlichen Schreibstil?

Was hat Figuren-Entwicklung einer Erzählung mit dem Internationalen Frauentag am 08.03.23 und der Neuerscheinung des Buches von Jojo Moyes zu tun? Alles und nichts!

Lasst mich das wie folgt erklären: Der Welt-Frauentag fand für mich bereits sechs Tage früher statt, am Donnerstag, den 02.03.23 in Köln. Als ich zu Gast bei der Lesung der britischen Bestseller-Autorin Jojo Moyes war. Vor mir auf der Bühne drei starke, erfolgreiche Frauen, die über Jojos neues Buch und dessen Thema diskutierten: Frauen-Solidarität!! Die Schriftstellerin stellte ihr neues Buch „Mein Leben in deinem“ im Rahmen der lit.COLOGNE vor.

Lesung Jojo Moyes mit Therese Hämer und Margit
Von links nach rechts: Therese Hämer, Jojo Moyes, Angela Spizig im Sartory-Saal, Köln

Eine kurzweilige Veranstaltung, moderiert von der ehemaligen Bürgermeisterin Angela Spizig. Einige Kapitel in deutscher Übersetzung wurden vorgetragen von der Schauspielerin Therese Hämer, Vorlesekunst par excellence. Während der neunzig Minuten entspannte sich ein angeregtes Interview zwischen Spizig und Moyes, unterbrochen von Textpassagen auf Englisch oder Deutsch.

Ideengewinn aus dem echten Leben am Beispiel von Jojo Moyes

Jojo Moyes erlebte in der Coronazeit eine Schreibblockade, familiäre Krisen und sah sich aufgrund der Trennung von ihrem Mann mit ihren drei Kindern allein. Hilfe in dieser Zeit erhielt sie vor allem von Frauen: ihrer besten Freundin, den weiblichen Mitgliedern ihrer Familie. Sie erfuhr Solidarität und Verbundenheit, diese trugen sie durch ihre schwere Zeit. Viele Themen haben sie bewegt und ihr bewußt gemacht, wie wichtig gerade Frauen im Leben einer jeden Frau sind. Mit ihrer Empathie, ihrem angeborenen Verständnis füreinander, ihrer Hilfsbereitschaft.

Daraus strickte sie ihr neues Buch, das nur nebenbei eine Liebesgeschichte erzählt, wie könnte solch eine auch fehlen in einem ihrer Bücher. Doch das Hauptthema ist die Solidarität unter Frauen, auch ihre Unterschiedlichkeit wird angeschnitten. Jede Frau kennt diese gewisse Stutenbissigkeit, die durch unnötige Rivalität, Neid und Missgunst begünstigt wird. Ich frage mich sehr oft, warum müssen wir überhaupt lernen, mit dieser anderen, negativen Seite des weiblichen Selbst umzugehen?

Unterstützung und Rückhalt mit wohlwollender Abgrenzung und Kritik kann jede Frau brauchen. Dazu den Gewinn aus jeder Beziehung schöpfen, anstatt sich gegenseitig zu behindern oder klein zu machen: das könnte uns Frauen zu einer globalen Macht erstarken lassen, die im Kleinen bereits funktioniert. Vernetzung, kollegialer und freundschaftlicher Umgang als Gegengewicht zum Patriarchat. Wahre Gleichberechtigung und Emanzipation leben durch den Respekt der Unterschiedlichkeit einer jeden Einzelnen. Der Weg dorthin dauert an.

Ich habe das Buch noch nicht gelesen, lediglich die Textpassagen aus der Lesung sind mir bekannt. Doch ich weiß jetzt schon, warum ich mir ein freies Wochenende dafür einplane: Sicher werden mich ihre Figuren in den Bann ziehen, denn Jojo Moyes weiß, wie man (und Frau auch!) Charaktere entwickelt. Die ans echte Leben angelehnt genau die Authentizität mitbringen, um Geschichten für die Leserschaft fühl- und erlebbar in Szene zu setzen.

Wie genau Jojo Moyes das macht? Das erzähle ich jetzt nach dieser, ja, ich geb´s zu, doch etwas längeren Einleitung als sonst. Doch anlässlich des Weltfrauentags sei mir dies erlaubt 🙂

Wie also wird eine Figur lebendig?

Auf die Frage, wie Jojo zu ihren so lebhaften Figuren findet, antwortete sie: Bevor sie überhaupt losschreibe, entwickele sie jede einzelne ihrer Figuren. Sie stellt sich vor,

  • was sie mögen und was nicht,
  • wie sie aussehen,
  • was sie als Kind erlebten und
  • wie ihre Schulzeit war.
  • Welche Freunde und Familien sie umgaben,
  • was sie prägte.
  • Welchem sozialen Umfeld waren sie ausgesetzt,
  • welche Talente haben sie und
  • welche Zufälle kreuzten ihren Weg.

Je intensiver diese Überlegungen gemacht werden und in Charakterbeschreibungen münden, desto mehr fühlt die Autorin sich in sie hinein. Selbst Erlebtes und dazu Erfundenes verweben sich und lassen die Figuren nach und nach entstehen. So entwickelt sie lebhafte Persönlichkeiten, die authentisch und nachvollziehbar in der späteren Handlung aufeinander treffen und miteinander kommunizieren.

Ein Akademiker wird keine Gossensprache nutzen, eine ungelernte Hilfskraft aus dem Hamburger Hafenviertel nicht auf Französisch fluchen; eine Siebzehnjährige ihr Selbstbewusstsein womöglich nur vortäuschen, ein junger Doktorand im Theoretischen perfekt, im Praktischen jedoch unsicher sein. Eigenes Erleben und Beobachtungen von Dritten lassen sich genauso in diese Personen hineindichten. Die Autorin „verdichtet“ im reinen Wortsinne: erdichtet und gedichtet.

Dabei kannst du selbst Erlebtes und dazu Erfundenes verweben und komplexe Figuren und Persönlichkeiten entwickeln. Erst dadurch können sie authentisch und nachvollziehbar in der späteren Handlung aufeinander treffen und miteinander kommunizieren.

Ein Akademiker wird keine Gossensprache nutzen, eine ungelernte Hilfskraft aus dem Hamburger Hafenviertel nicht auf Französisch fluchen; eine Siebzehnjährige wird ihr Selbstbewusstsein womöglich nur vortäuschen, ein junger Doktorand im Theoretischen perfekt, im Praktischen jedoch unsicher sein. Eigenes Erleben und Beobachtungen von Dritten kannst du ebenfalls in diese Personen hineindichten.

Eigene Wunschvorstellungen werden in den Figuren zum Leben erweckt, frei nach dem Motto: „So würde ich auch gern einmal sein, so fluchen können, so ignorant, so bösartig, oder eben auch gerade nicht.“

Je genauer die Charaktere schon vor dem Schreiben der Geschichte entwickelt und definiert werden, umso lebensechter erblüht und fesselt sie im Verlauf.

Woraus besteht ein Charakter?

Die Entwicklung einer Figur umfasst somit sowohl

  • Äußerlichkeiten (Frau, Mann, Kleidungsstil, Körper etc.),
  • Wesenszüge (freundlich, geizig, stur etc.) und
  • Prägungen, Erlebnisse, Fähigkeiten (ein Einzelkind ist anders groß geworden als ein Zwilling, Urlaub, Unfälle, Fremdsprachen, Behinderungen, Beruf etc.).

Hinweis: Die für die Charaktere entwickelten Stichpunkte müssen nicht automatisch in der Erzählung zum Tragen kommen! Sie können als reine Hintergrundinformation dienen, aber Konfliktpotential enthalten (z. B. wird oftmals ein Nichtraucher vom Qualm Rauchender abgestoßen; wer die Fremdsprache des Landes spricht, wird im Ausland einiges verstehen, z. B. könnte das zufällig mitgehörte Gespräch am Telefon einen Bombenbauer entlarven).

Und jetzt wünsche ich viel Spaß mit dem eigenen Ausprobieren, Personen und Figuren dürfen so vielfältig sein wie das wahre Leben – und noch darüber hinaus 🙂

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Lächelnde Frau vor Efeu-Wand mit einem Notizbuch in der Hand, darauf der Claim "Liebe, die durch Worte strahlt"

Gabi Kremeskötter

Liebe, die durch Worte strahlt

Freie Rede – Schreibworkshops – Lektorat


8 Kommentare

  1. Liebe Gabi,

    das war aber echt spannend – und ich weiß gar nicht, was mich mehr angesprochen hat: Deine tiefsinnige und so frauensolidarisch geschriebene Einleitung oder das eigentliche Thema Deines Blogs. Beides! Danke für die vielen wunderbaren Gedanken und das Hineinschauen dürfen in das lebendige Entwickeln der Protagonisten.
    Liebe Grüße
    Siglinde

    1. Liebe Sieglinde,
      herzlichen Dank für deinen Kommentar, das freut mich aber jetzt sehr😊
      und zeigt mir: ich darf auch mal etwas ungewöhnlich in einen Beitrag einsteigen🥰
      Viele Grüße
      Gabi😉

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