Mein innerer Kritiker: mehr Freund als Feind

Veröffentlicht am Kategorisiert in Korrektorat und Lektorat, Kreatives Schreiben
Frau vor heller Wand mit Bougainvilla schaut skeptisch zu Boden, beide Hände liegen an den Wangen
Bin ich gut genug? Foto: Michaela Grönnebaum, Portugal Mai 2024

Als ich den Blogparaden-Aufruf „Nicht gut genug“ von Heike Schmidt las, sprang mir direkt mein innerer Kritiker ins Bewusstsein. Ich bin sicher, jeder hat einen solchen und hört ihn (oder sie?) mal lauter, mal leiser. Ich muss sagen: Ich mag ihn, vor allem, weil er mir in wichtigen Situationen schon geholfen hat, meine Spontaneität etwas einzubremsen. Daher höre ich durch die Stimme in meinem Kopf sowohl freundliche als auch feindliche Töne. In meinem Blogartikel gebe ich gerne Einsicht in meine Gedanken dazu.

Wann ich meinen inneren Kritiker höre

Oft, wirklich oft höre ich sie, die kritische Stimme, die mir zuflüstert: Das ist noch nicht richtig, das kannst du noch besser, daran musst du noch arbeiten. Ihren Ursprung verorte ich vor allem in Situationen, die mir neu und ungewohnt sind. In denen ich noch keine Sicherheit verspüre, weil sie mir etwas abverlangen, was über meine eingeübten Erfahrungsmomente hinausgeht.

Ich sehe dann nicht nur mich, sondern vor allem jede Menge andere Augen, die mich anstarren. Die mich auslachen und meine Unsicherheit feixend feiern. Alles nur Einbildung? Klar, in den allermeisten Situationen ganz bestimmt, doch die Angst, genau so gesehen zu werden, lähmt und hemmt mich.

Um in drei einfachen Alltagssituationen zu sprechen, die mir regelmäßig begegnen:

  • Ich betrete eine Veranstaltung und kenne niemanden. Ich fühle mich isoliert und dennoch exponiert, traue mich nicht, mit anderen einfach so ein Gespräch anzufangen. Wer sollte sich schon für mich interessieren, zumal ich Smalltalk und Bla-Bla wirklich nicht mag?
  • Ich habe einen Textentwurf, der mir noch quer liegt. Weil er mir unausgegoren, unstrukturiert oder langweilig und phrasenhaft vorkommt. Und doch spiegelt er meine Gedanken im Entstehungsprozess wider, ist sozusagen 1:1 ich – jede Kritik daran (be)trifft mich unmittelbar.
  • Ich bewege mich gern, merke allerdings mein fortschreitendes Alter. Bin nicht mehr so ausdauernd, meine Gelenke tun mir weh. Strecken, die ich früher leicht bewältigen konnte, fallen mir inzwischen schwer. Mein Trainingszustand ist hart erarbeitet und erscheint mir doch im Vergleich zu meinen früheren Möglichkeiten mager. Ich bremse andere nur aus, das möchte ich niemandem zumuten.

Wie ich meinem inneren Kritiker begegne

Die drei oben beschriebenen Glaubenssätze trage ich schon sehr lange mit mir herum. Ich höre sie gebetsmühlenartig immer wieder, mal lauter, mal leiser. Und doch habe ich mir über die Jahre eine wirksame Erwiderung angeeignet. Jedem einzelnen spreche ich seine Gültigkeit nicht ab, jedoch weiß ich sie zu entkräften. Dadurch habe ich sie mir zu Freunden erklärt, denn sie zeigen mir, wo ich noch einmal draufschauen sollte und wann nicht.

Ich uninteressant? Keine Spur!

Durch meine Kreativität, meine Neugierde, meinen Lesehunger und vielseitigen Interessen kann ich fast immer fundierte Gespräche führen. So ich denn einen Gesprächspartner auf diesem Niveau finde. Das klingt womöglich etwas überheblich, ist jedoch keineswegs so gemeint.

Ich habe lediglich erkannt, dass wenn ich auch nach geraumer Zeit in einer Gesellschaft keinen adäquaten Anschluss gefunden habe, diese Versammlung eben nichts für mich ist. Weil sie mir nicht das bietet, was ich brauche, um einen wertvollen Austausch zu erleben. Meinen Glaubenssatz drehe ich somit einfach um: Nicht ich bin nicht interessant, sondern das sich mir gerade bietende Umfeld. Diese Einflüsterung des mir wohlwollenden, inneren Kritikers nehme ich wahr als Hinweis, der mir Freund ist – und suche mir andere, passendere Gesellschaft 🙂

Mein Text ist langweilig oder (noch) nicht gut genug?

Dann setze dich noch einmal dran! Schreiben ist Seelenmassage für mich. Meine Worte – wie jetzt in diesen Blogartikel – fließen zu lassen, ist mir Selbstzweck, zeigt aber auch meinen Wunsch, gelesen und gehört zu werden. Gesprochene Worte lassen sich nicht mehr zurücknehmen, geschriebene jedoch überarbeiten.

Den Glaubenssatz „Mein Text ist nicht gut genug“ höre ich übrigens sehr häufig auch in meinen Schreibkursen. Klar, wenn eigene Texte vorgelesen werden, womöglich zunächst als erster oder zweiter Entwurf, ist doch klar, dass sie nicht perfekt sein können. Meine Motivation, sich wohlwollender Kritik auszusetzen, um sich dadurch eine gewisse Kritikfähigkeit zu erarbeiten, zielt letztendlich genau darauf ab: der Steigerung der Textqualität. Dies ist mir insbesondere als Korrektorin & Lektorin überaus wichtig.

Daher nutze ich selbst meine drei wichtigsten Tipps für die eigene Textüberarbeitung. Und danach erinnere ich mich, meine selbstverfassten Texte betreffend, an meine erfolgreichen Lesungen, Veröffentlichungen und sonstige Rückmeldungen. Ich bin eine dynamische Bloggerin, keine Perfektionistin, ein Glück:-) Gerade hier auf dem Blog bedeutet „veröffentlicht“ nicht automatisch „in Stein gemeißelt“. Im Gegenteil, Änderungen sind schnell gemacht, ich freue mich daher über Korrekturen jeder Art, denn ich weiß: Meine Texte werden dadurch (noch) besser. Auch das ist somit ein Hinweis, den mir „Freund“ Kritiker gibt.

Autorin Juli Norden signiert ihren Roman
Signierstunde nach einer Lesung aus meinem Roman „Dahinterliegendes Blau“

Ich behindere andere? Sie können mir ausweichen.

Ich erinnere mich an eine ganz besondere Situation vor sehr vielen Jahren. Als aktive Motorradfahrerin hatte ich einen Tag Motorrad-Renntraining in Motorsport Arena Oschersleben gebucht. Als Anfängerin auf einer Rennstrecke war ich in der langsamsten Gruppe eingetragen und tastete mich nach der Einführungsrunde hinter dem Instruktor langsam an die Kurven heran. Ich war wirklich langsam unterwegs, hatte mega Respekt vor der Strecke und kein wirkliches Vertrauen in mich, meine Reifen und Fahrkünste.

Doch ich wollte es wissen. Leider wurde ich sehr schnell überrundet innerhalb der jeweils 20 Minuten Fahrzeit. Jedes Mal, wenn ich von hinten jemanden auf mich auffahren hörte, machte ich Platz, um ihn nicht zu behindern. Schließlich hatte ja jeder Geld dafür bezahlt und ich wollte niemandem seinen Fahrspaß rauben. In den ersten drei Fahrzeiten kam ich daher nicht wirklich in meinen eigenen Flow. Was mich enorm nervte, weil ich dachte, ich kann doch fahren!

Als ich mich in der Pause einem anderen Fahrer erklärte, lachte er mich wohlwollend aus. „Du bist doch genauso zahlende Fahrerin hier! Die von hinten müssen aufpassen und selbst sehen, wie sie dich überholen, die können das und brauchen dein Platzmachen absolut nicht!“ Dieser wertvolle Ratschlag befreite mich. Ja, klar! Warum war ich nicht selbst darauf gekommen? Ich erlaubte mir etwas mehr gesunden Egoismus und schon war ich unterwegs.

Und was soll ich sagen? Die letzten beiden Fahrzeiten waren klasse. Endlich stellte sich auch bei mir der Fahrspaß ein, ich achtete nur noch auf mich und ignorierte die von hinten Anrauschenden. Es wurden weniger von Runde zu Runde und am Ende erlebte ich nur noch wenige Überrundungen. Am liebsten hätte ich direkt den nächsten Tag dazugebucht, so entfesselt wie ich war. Leider war das nicht möglich.

Und mein Fazit? Rede dir nicht selbst ein, du wärst zu langsam. Wer schneller will, kann dich überholen. Für dein Tempo bist nur du verantwortlich, so wie jeder andere für das seine.

Gelb-schwarze BMW FZR800 vor blauem Himmel an einem Straßenrand
Ein perfekter Motorrad-Sommertag bei 24°C

Mein innerer Kritiker: Mehr Freund als Feind

Jede der oben dargestellten Situationen mag beispielhaft dafür stehen, wie ich selbst mir den Hemmschuh des inneren Kritikers zunächst selbst anzog, auf Anraten und freundlicher Erkenntnis desselben jedoch wieder loswurde. Natürlich klappt das nicht immer. Doch häufig genug, dass ich ein „Ich bin nicht gut genug“ nur noch sehr selten denke oder von mir gebe.

Ich bin jeder wertschätzenden Kritik aufgeschlossen. Vernichtende jedoch fährt in mich und stört mein Gleichgewicht. Dann rolle ich mich schneckengleich zusammen und hüte für einige Zeit mein sicheres Haus. Irgendwann komme ich jedoch geläutert und aufrecht wieder heraus; erkennend, dass diejenigen, die andere zu hart anfahren, meist selbst mit sich im Unreinen sind.

Und du? Findest du dich gut und richtig, so wie du bist? Erzähl mal von dir, wie gehst du mit deinem inneren Kritiker um? Wünschst du dir einen objektiven Blick, z. B. auf dein Manuskript – egal ob fertig oder noch in der Entstehungsphase, melde dich gern bei mir, ich helfe dir! In meinem Angebot Textharmonie: Feinschliff für deine Worte findest du alle Informationen.

Viele Grüße Gabi


Lächelnde Frau vor Efeu-Wand mit einem Notizbuch in der Hand, darauf der Claim "Liebe, die durch Worte strahlt"

Gabi Kremeskötter

Liebe, die durch Worte strahlt

Freie Rede – Schreibworkshops – Lektorat


9 Kommentare

  1. Liebe Gabi,
    Als ich deinen Artikel las, fielen mir sofort ein paar Beispiele ein, wo sich meine Glaubenssätze meldeten. Besonders gut gefällt mir deine Geschichte mit der Rennstrecke, Platz machen für andere – was tun wir uns selbst damit an.
    Lieben Dank, Birgit

    1. Hallo Birgit,
      ja, ist das nicht verrückt? Dass wir uns so oft zunächst um andere kümmern, bevor wir dran sind?
      Im Grunde ja ein feiner Zug, Egoismus in allen Ehren, aber ein Miteinander funktioniert besser ohne – bzw. in gesundem Gleichgewicht.
      Gut, dass mir über das Schreiben des Artikels wieder einmal klar wurde, wie sehr meine Schüchternheit mich früher doch ausgebremst hat – und in Sachen Rennstrecke sogar im reinen Wortsinne.
      Danke für den Austausch mit dir,
      Gruß Gabi

  2. Liebe Gabi,
    danke, dass du das Thema meiner Blogparade so wunderbar beleuchtet hast. Mir gefällt es sehr gut, den inneren Kritiker auch Inspirator und Ideengeber zu nutzen: Es gibt Veranstaltungen, die einfach nicht für uns geeignet sind; es gibt Kritik, die hilfreich ist und uns noch besser werden lässt. Dein Beispiel mit dem Motorrad finde ich sehr ansprechend und hilfreich: Mein Tempo ist mein gutes Tempo. Und das Lesen deiner Worte hat meine Stimmung gehoben. Sie klingen licht und hell in mir. So danke ich dir von Herzen für deinen wundervollen Beitrag.
    Heike

    1. Liebe Heike,
      herzlichen Dank für diese Zusammenfassung, die zeigt, dass die meisten von uns diesen Glaubenssatz kennen, ihn ERkennen und damit auch überholen. Mir hat gutgetan, von den vielen anderen Beispielen zu lesen, die Stärkung daraus mitzunehmen und auch neue Ansätze.
      Viele Grüße
      Gabi

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