Sprache ist keine Mode, sondern Kulturgut

Veröffentlicht am Kategorisiert in Autorin Juli Norden, Korrektorat und Lektorat, Kreatives Schreiben
Frau lächelt mit verschränkten Armen in die Kamera, im Hintergrund Bruchsteinmauer
Ich habe eine Meinung und stehe dazu.

In ihrer Blogparade „Streitfall Sprache“: Dynamischer Teil der Geschichte oder Objekt der Zensur? spricht Nicole Isermann ein heikles Thema an. Ich möchte jetzt nicht von mir behaupten, dass ich jede Diskussion darum verfolgt habe, denn als die Frage dazu vor einiger Zeit aufkam, fand ich sehr schnell zu meiner Meinung. Vielleicht, weil ich selbst schreibe und mir das Recht herausnehme, dass das geschriebene Wort, mein geschriebenes Wort, nicht einfach so „umgedichtet“ werden darf. Über meine Gedanken zu diesem Thema, warum Sprache als Kulturgut für das Alte als auch Neue steht, handelt mein folgender Blogartikel.

In Nicoles Blogparadenaufruf stehen viele weiterführende Informationen – ich möchte mich zu nur einer Facette positionieren: Das, was einmal geschrieben steht, hat Bestand. Jeder Text, der geschrieben wurde, resultiert aus den Umständen der bestimmten Ära, dem herrschenden Umfeld und gesellschaftlichen Rahmen jener Zeit. Die Sprache, ihre Vokabeln, Begriffe und Definitionen gehören unverbrüchlich in die Zeit, in der sie benutzt wurden und werden. Ob wir 2024 schreiben, im Jahre 2000 oder 1970.

Nachträgliche Anpassung ist ein Eingriff in Kunst & Kultur

Die gewählten Worte und Ausdrücke gehören damit dem Autor und der Autorin, die sie benutzt haben, geschrieben haben, gewählt haben. Hinzugehen, die Texte von DAMALS zu verändern, weil sich HEUTE jemand durch die benutzte Sprache kritisiert, stigmatisiert, angefeindet oder ausgegrenzt, rassistisch beleidigt fühlen könnte, wäre für mich ein Eingriff in die Kunst und Kultur; möglich nur mit der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers. Sie dem heutigen Ermessen nach weichzuzeichnen, würde ich zudem als „geschichtsverändernd“ bezeichnen.

Denn Texte, egal ob Literatur, Briefe und Lieder sind Ausdruck von Kunst. Kunst, wie sie der Schreibende versteht beziehungsweise verstanden hat. Die natürlich frei interpretierbar sind, jedoch durch die Wortwahl individuell manifestiert.

Wer Bücher von früher nicht lesen möchte, weil womöglich Begrifflichkeiten darin vorkommen, die damals, aber nicht mehr heute gelten, kann sich aktiv dafür entscheiden. Wer neugierig bleibt, das Gestern genau so respektiert wie das Heute, eines mit dem anderen vergleichen und Änderungen beobachten möchte: großartig!

Wir können nicht ändern, was früher galt. Der gesellschaftliche Wandel mit neuer Sensibilität und Rücksichtnahme, Gleichberechtigung und Gleichstellung ist ein dauernder Prozess. Und damit mich niemand missversteht: Dieser Wandel ist wichtig, nötig, angebracht und herzlich willkommen! Literatur und Kunst sind jedoch Momentaufnahmen, die genau das – und nicht mehr – zeigen: Momentaufnahmen, als Beweis dessen, was gerade ist. Bewahren – und vor allem respektieren – wir diese!

Der Wirkung bewusst

Was war, war. Was ist, ist. Wer heute eine zweifelhafte Wortwahl betreibt, im Wissen, andere damit zu verstören oder auszugrenzen, muss sich selbstverständlich seiner ignoranten Wirkung bewusst sein. Ist sich hoffentlich der Wirkung bewusst und setzt genau diese Sprachauswahl ein – oder aus Rücksicht, Toleranz und Verständnis genau deshalb nicht.

Literatur und textliche Zeugnisse von früher inhaltlich dem heutigen Verständnis anzupassen, dagegen sträubt sich mir wirklich jedes Nackenhaar.

Ich liebe Pippi Langstrumpf und ihre Sprache gewordenen Abenteuer. Astrid Lindgren war eine so großartige Autorin, da darf niemand, aus welch gut meinendem Grund auch immer, ihre Wortwahl verändern! Auch Alexandras Zigeunerjunge klingt mir mit ihrer wunderschönen Stimme noch heute im Kopf. Sie sang und lebte, als der Begriff der Zigeuner noch gang und gäbe war, ihr gesangliches Erbe gehört daher als Kulturgut bewahrt. Ihre Platte aus meiner Sammlung entfernen? Nie im Leben! Ich lege sie direkt einmal wieder auf:

Plattencover von Alexandra "Stimme der Sehnsucht" neben Thorens-Plattenspieler
Mein Vater hörte in meiner Kindheit oft Alexandras Musik – sie weckt schöne Erinnerungen in mir.

Wie gehe ich selbst mit Sprache um?

Ich lebe und schreibe HEUTE. Natürlich möchte ich niemanden verletzen und bemühe ich zudem um einigermaßen gendergerechte Ausdrücke. Ich bin Dozentin und Autorin, fühle mich selbst nicht ausgegrenzt von maskuliner Schreibweise, sondern akzeptiere sie, weil sie einfach(er) ist. Ich bin Frau und mir meiner selbst bewusst. Stehe dem Ganzen entspannt gegenüber und lächle insgeheim, wenn ein „alter weißer Mann“ oder das eine oder andere Mitglied einer anderen Identitätsgruppe sich zum Mittelpunkt des gesellschaftlichen Universums bestimmt.

Und trotzdem kämpfe ich oder gerade deshalb: Kämpfe für Gerechtigkeit und Ehrlichkeit, spreche Klartext und hasse Bla-Bla. Sprache ist so umfassend und unterschiedlich, gerade die deutsche Sprache besitzt für jede noch so feine Nuance ein Wort. Nutzen wir unser Vokabular, um darzustellen, auszusprechen und aufzuschreiben, was genau unsere Gedanken sind. Sich darüber streiten, sich auch wehren gegen bösartige Formulierungen, das ist Sinn und Zweck intelligenter Diskurse. Sie müssen geführt werden mit Respekt, Toleranz und Aufrichtigkeit.

Toleranz ist übrigens keine Einbahnstraße. Wer toleriert werden möchte, egal in welcher Ausprägung, tut gut daran, das gleiche Maß auch seinem Verhalten angedeihen zu lassen.

Soviel dazu und nun lasst uns weiter schreiben, was uns heute umgibt 🙂

Viele Grüße Gabi


Lächelnde Frau vor Efeu-Wand mit einem Notizbuch in der Hand, darauf der Claim "Liebe, die durch Worte strahlt"

Gabi Kremeskötter

Liebe, die durch Worte strahlt

Freie Rede – Schreibworkshops – Lektorat


15 Kommentare

  1. Liebe Gabi,
    was für ein mega toller, wertschätzender und klarer Artikel, den ich so voll und ganz teile!
    Doch ich gehe noch etwas weiter:
    Alle diejenigen, die alte Texte, Aussagen, Bezeichnungen, Namen und Sprache „anpassen“, verändern nicht nur, sondern „vergewaltigen“ und zerstören Herkunft, Geschichte, Kultur und Kunst. Ich weiß, dass der Begriff der Vergewaltigung in anderem Zusammenhang besetzt ist. Dennoch bin ich hier in meiner Wertung krass, da ich dies so im Herzen und der Seele empfinde.
    Unlängst habe ich einen vor mehr als 50 Jahren in Deutschland als Sohn von Flüchtlingen geborenen Roma getroffen. Er war und ist mehr als nur stolz auf seine Herkunft, Kultur und Werte. Er selbst empfindet den Begriff Zigeuner und Roma eher als Wertschätzung, denn als Schmach und das, was weg muss. Und er bestätigte, dass es vielen seiner Landsleute und Volksangehörigen ebenfalls so geht. Interessanter Weise brachte er noch einen anderen Gedanken, einen Wechsel der Blickrichtung in’s Spiel:
    ROMA rückwärts gesehen und gelesen, heißt AMOR – Ist das nicht herrlich und sollte bewahrt werden?
    Sollen nicht die, die dieser oder anderer Volksgruppe angehören, selbst über ihre Bezeichnung oder Beschreibung entscheiden, als dass dies andere, selbst ernannte Berufene tun?
    Liebe Grüße, André

    1. Hallo Andre,
      dein Kommentar ist so ausführlich, dass du damit gerne an meiner Blogparade teilnehmen darfst – entweder veröffentlichst du ihn auf deinem eigenen Blog als Beitrag oder du schreibst ihn etwas um und veröffentlichst ihn als Kommentar direkt unter meinem Aufruf https://projekttext.com/blogparade-streitfall-sprache-freiheit-zensur. Ich würde mich freuen, da ich interessiert an sehr vielen unterschiedlichen Meinungen bin.
      Viele Grüße von Nicole

    2. Lieber André,
      herzlichen Dank für deinen ausführlichen Kommentar. Ich freue mich sehr, dass auch du mit deiner Meinung zu diesem strittigen Thema nicht hinterm Berg hältst.
      Die Sichtweise wirklich Betroffener aufzugreifen, ist so wichtig, damit diese Diskussion nicht in die falsche Richtung hochstilisiert wird.
      Den Namen Roma rückwärts zu lesen ist bezaubernd 🙂
      Danke für dieses mir bisher unbekannte Wortspiel.
      Viele Grüße
      Gabi

  2. Liebe Gabi,
    du bist die Erste, die an meiner Blogparade teilnimmt – ein großes Dankeschön dafür an dich! Ich dachte mir schon, dass wir ganz ähnlich liegen mit unseren Ansichten, und freue mich, dass du sie mit mir und meinen Leser*innen teilst!
    Herzliche Grüße von
    Nicole

    1. Liebe Nicole,
      danke für deinen Aufruf, er rührt einem sehr wichtigen Thema und da war das Bedürfnis, meine Meinung zu teilen, riesengroß 🙂
      Ich bin gespannt, wie sich die Debatte entwickelt und werde sie verfolgen.
      Herzliche Grüße
      Gabi

  3. Liebe Gabi, danke für Deine klaren Worte. Besondere Bedeutung hat für mich Dein Statement am Ende: Toleranz ist keine Einbahnstraße – schade, dass so viele Menschen, die sich als Moralapostel aufspielen genau diesen elementaren Punkt übersehen! Liebe Grüße Heike

  4. Liebe Gabi, lieber André, liebe Heike,
    das kann ich alles zu 💯 unterschreiben.
    Gerade bei der Bezeichnung von anderen Ethnien sollten wir die Entscheidung, wie sie genannt werden möchten selber überlassen. Zumindest mal nachfragen wäre gut.
    Ich bin derselben Meinung, dass ältere Literatur sprachlich nicht zu verändern ist. Das gleich gilt für Bilder und Skulpturen. Kunst und Kultur sind sehr wichtig in der heutigen Zeit und werden viel zu wenig wertgeschätzt, betrachtet, gelebt und gelehrt.
    In meinem Bücherschrank stehen auch heute noch die Bücher von Astrid Lindgren und Otfried Preußler. Und ich werde sie garantiert unzensiert meinen Enkeln vorlesen.
    Liebe Grüße, Birgit

    1. Liebe Birgit,
      ich freue dich und heiße dich willkommen im Club der unzensiert Leser:innen 🙂
      So machen wir das, auch wenn meine Enkel noch gar nicht auf der Welt sind, lach.
      Ich danke für deine klare Unterstützung und grüße dich!
      Gabi

  5. Liebe Gabi,
    ein klares, respektvolles Statement von Dir mit schlüssiger Argumentationsführung. Großartig. Beifall und 100 % ige Zustimmung von mir.
    Man merkt gut, wie tief Du Dich mit diesem Thema beschäftigst – im Gegensatz zu manchen oft genug selbsternannten Wortführern in dieser Debatte.
    Liebe Grüße
    Britta

  6. Liebe Gabi, du bringst die Sache präzise und prägnant auf den Punkt. Was war, war und was ist, ist. Sprache war immer im Prozess und das wird auch so bleiben. Ich bin schon gespannt, worüber unsere Enkel einmal schmunzeln werden. Viele Grüße, Heike

    1. Liebe Heike,
      danke für deine Rückendeckung und dein Lob, ich bin sicher, ich werde bei dir auf deiner Seite ähnliches finden.
      Ich springe gleich einmal rüber 😉
      Gruß Gabi

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