Wer ein Buch oder eine spannende Geschichte schreiben möchte, wird früher oder später mit dem Begriff der Heldenreise konfrontiert. Was genau er bedeutet, welche klassischen und modernen Auslegungen dahinterstecken, erkläre ich in meinem Blogartikel. Auch auf die Kurzversion „Minidrama“ gehe ich ein, denn auch diese Textart gründet sich auf der Heldenreise.
Die Heldenreise – Definitionen
Unter „Heldenreise“ wird eine ganz bestimmte Struktur verstanden, die den Aufbau einer spannungsreichen Erzählung darstellt. Der Held oder die Heldin der Geschichte erlebt dabei mehrere Etappen und die Lesenden folgen ihnen bei ihrer Entwicklung. Dieser Weg, als Heldenreise bezeichnet, kann einen kürzeren oder längeren Zeitabschnitt und eine tatsächliche Reise beinhalten, aber auch innere Entwicklung oder einen wichtigen Erkenntnisgewinn darstellen.
In jedem Fall durchläuft die Reise der Helden mehrere Etappen, Orte oder Stufen, die durch die Struktur der Heldenreise einem logischen und spannenden Aufbau folgt. In der Literatur wird hierbei die klassische Tragödie und der moderne Spannungsroman unterschieden. Die Etappen oder Stufen sind dabei gleich, werden jedoch unterschiedlich benannt. Bekannte Autor:innen habe dabei unterschiedliche, bis zu 17 einzelne Wegmarken definiert, bei Wikipedia findet sich zur Heldenreise eine gute Übersicht.
Ich möchte jedoch in meinem Blogartikel der einfacheren Verständlichkeit wegen deutlich weniger unterscheiden, denn letzten Endes reichen diese fünf, um den Spannungsaufbau einer Heldenreise damit grundlegend zu verstehen:
Die Heldenreise in der klassischen Tragödie
Die fünf Schritte eines Dramas im Sinne einer klassischen Tragödie, wie wir sie in klassischen Opern oder Theaterstücken bis in das 19. Jahrhundert hinein kennen, wird in 5 Akten aufgebaut. Jeder der einzelnen Akte hat eine ganz bestimmte Funktion innerhalb des Handlungsstranges, die in ihrer Gesamtheit die Heldenreise erzählen:
- In der Exposition werden die Handelnden und der Grundkonflikt vorgestellt.
- Die Handlung steigert sich, der Protagonist handelt aktiv, macht sich dabei schuldig. Durch Komplikationen verschärft sich die Situation und weitere Charaktere nehmen Einfluss.
- Krisis und Peripetie: Der Konflikt erreicht seinen Höhepunkt (= Krisis) und die Handlung schlägt um (=Peripetie) in eine abfallende Spannungskurve. Der Held verliert seine freie Handlungsfähigkeit, er gerät in eine passive Rolle, ihm wird das Heft des Handelns aus der Hand genommen.
- Es folgt eine Erkenntnisszene (= Anagnorisis), diese kann dabei durchaus mit dem Umschlag der Handlung (= Peripetie) zusammenfallen. Hier erkennt der Held seine eigene Schuld, die wahren Zusammenhänge werden klar, Verstrickungen und Intrigen aufgedeckt. Dadurch wird der Spannungsbogen erneut aufgebaut, die Handlung hält Überraschungen bereit.
- Die Geschichte endet mit einer Katastrophe. Der Untergang des unschuldig schuldig gewordenen Helden ist unausweichlich. Sein Tod lässt keinen glücklichen Ausgang zu, der Zuschauer ist erschüttert. Die erfahrene Katastrophe soll ihn, den Rezipienten, an eigene Konflikte erinnern und letzten Endes läutern.
Beispiele dieser klassischen Tragödie sind das Drama Romeo & Julia und die Oper Macbeth . Aber auch Hamlet oder Maria Stuart gehören dieser Kategorie an.
Die Heldenreise im modernen Spannungsroman
Wer einen modernen Roman in die Hand nimmt, begegnet den gleichen fünf Etappen in der Handlung, die der Held, die Heldin durchläuft. Sie werden häufig nur anders genannt. Insbesondere im KREativen Schreiben von Kurzgeschichten eignet sich diese fünf Punkte als Richtschnur, da kürzere Textformate oftmals keinen Raum lassen für mehr als fünf Etappen einer Heldenreise.
Die fünf Punkte der Heldenreise sind leicht zu merken und auch in meinen Schreibkursen greife ich darauf zurück:
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Spannungsaufbau mit der modernen Heldenreise
- Narrativer Haken, der den Leser packen soll, um ihn in die Geschichte zu ziehen. Das können ein oder mehrere erste Sätze sein, die die Handlung auslösen und den Protagonisten und seinen Konflikt einführen.
- Nähere Vorstellung des Konflikts und der Handelnden.
- Komplikationen, Wendungen und Überraschungen, neue Konflikte.
- Beim Handlungshöhepunkt findet die entscheidende Auseinandersetzung statt, große Szenen bereiten die Entscheidung vor.
- Ein schnelles Ende erzählt die Lösung, meist verbunden mit einem glücklichen Ausgang, zumindest im Film und unterhaltenden Roman 🙂
Beispiele der modernen Herangehensweise sind z. B. der Film Pretty Woman und die Star-Wars-Reihe, aber natürlich auch Herr der Ringe.
Wer eine größere Geschichte erzählt, dem rate ich zudem, seine Idee vor der Ausführung zu plotten. Indem die Handlung in Kapitel und einzelne Szenen aufgeteilt, quasi vorher geplant wird, verliert sich der rote Faden beim Schreiben nicht und die Spannung, die der Leser braucht, um die Geschichte weiterlesen zu wollen, bleibt erhalten. Zum Plotten habe ich übrigens einen eigenen Blogartikel geschrieben: Plotten: von der Idee zum Manuskript – meine Anleitung in 8 Schritten
Das Minidrama als kleine Heldenreise
Das Minidrama ist ein kurzer Text, der dennoch intensiv eine Heldenreise beschreibt. Auf Ausschmückungen sowie detailreiche Beschreibungen der Charakter und dem Ort der Handlung wird bewusst verzichtet. Auch ist das Zeitfenster, in dem sich das Drama – auch als Dramolett oder Mikrodrama bezeichnet – abspielt, meist sehr kurz.
Als Minidrama werden Sketche, Witze, Vorspiele, kurze Theaterstücke von maximal 15-20 Minuten Dauer, theatralische Kurzgeschichten, Einakter, Fragmente, kurze Monologe, auch Pantomime und Improvisationen gewertet. Oftmals gehen sie mit einer gewissen Absurdität einher, können grotesk oder makaber sein.
Wichtig sind in jedem Fall: Einleitung – Konflikt – Spannungsaufbau – Höhepunkt und die finale Auflösung. Ich habe selbst Minidramen verfasst, zwei davon mögen als anschauliche Beispiele dienen. Die textliche Gestaltung ist sehr frei und spiegeln trotz der Kürze die Handschrift des/der Autor:in wider.
Zwei Beispiele für ein Minidrama:
24 Stunden
Vierundzwanzig Stunden schon. Ohne Ton oder Nachricht. Leila schaut immer wieder verständnislos Ihr Handy an. Das hat er noch nie gemacht. Sich so stumm zu stellen, so weg und abwesend wie nur was. Sie überlegt und lässt den Tag davor noch einmal im Geiste an sich vorüberziehen. Sie waren morgens aufgewacht, schlaftrunken aneinander gekuschelt, müde, noch nicht ganz wach. Den ersten Kaffee im Bett, das gemeinsame Frühstück. Er musste zur Arbeit, ein schneller Abschiedskuss, dann fuhr er. Alles wie immer, so wunderbar gewohnt.
Leila selbst hat ja auch einen vollgepackten Tag vor sich, der wie im Flug verrinnt. Wie immer wünscht Leila ihm per Kurznachricht einen schönen Tag und Abend, später eine gute Nacht. Leider unbeantwortet von ihm. Etwas seltsam findet sie sein Schweigen schon. Aber nerven will sie ihn auch nicht. Leila erwacht am nächsten Morgen vor dem Wecker und der erste Blick gilt ihrem Handy. Nichts. Keine Antwort. Er hat ihre Nachrichten bisher noch nicht einmal gelesen, so das Sendeprotokoll.
Angst und ein plötzlicher Argwohn keimen in ihr auf. Hat er ihr nicht versprochen, damit aufgehört zu haben? Wie lange war er jetzt schon ohne das Zeugs? Fünf Jahre? Was ist geschehen, etwa ein Rückfall? Von heftiger Panik getrieben schlüpft sie ungewaschen schnell in Jeans und Pulli, Autoschlüssel und Handy in der Hand. Da klingelt es an der Sprechanlage. „Sag mal, was ist los bei dir? Ich versuche schon seit gestern Abend, dich zu erreichen! Dein Handy ist tot!“ schallt seine Stimme ihr entgegen. Ratlos sieht sie ihr Mobiltelefon an und erkennt erst jetzt den aktiven Button „Flugzeugmodus“.
©Juli Norden 07.11.13
Minidrama als Dialog
Ein Mann und eine Frau streiten sich am Telefon
- Meike: „Hörst du mir jetzt endlich einmal zu?“
- Frank: „Mensch, du weißt doch, dass ich im Augenblick den Kopf voll hab.“
- Meike: „Mal wieder typisch, nie hast du Zeit. Wir müssen uns aber jetzt wirklich endlich entscheiden.“
- Frank: „Boah, ich habe echt keine Lust dazu.“
- Meike: „Für mich hat das weniger mit Lust zu tun. Gib es zu, du hast einfach Schiss!“
- Frank: „Ich und Angst? Vergiss es …“
- Meike: „Aber es hat dir doch sonst auch immer gefallen …“
- Frank: „Gefallen? Nur ausgehalten hab ich das, im Grunde ist es Tierquälerei!“
- Meike: „Du bist unmöglich. Was fällt dir ein, meine Mutter so beleidigen?“
- Frank: „Komm, sei ehrlich, du stöhnst doch auch oft über sie!“
- Meike: „Das ist etwas vollkommen anderes. Du hast nicht das Recht …“
- Frank: „Kein Recht? Hallo – ich bin ein eigenständiger Mensch mit Rückgrat!“
- Meike: „Stopp, das reicht. Das muss ich mir nicht bieten lassen. Entweder du entschuldigst dich sofort bei mir oder du wirst die Feiertage alleine verbringen.“
- Frank: „Sehr gut, ganz wie du meinst. Klaus wird sich freuen, wir machen eine Männertour.“
© Juli Norden 19.11.24
Ich hoffe, ich konnte dir einen guten Überblick über die Möglichkeiten bieten, die die Struktur der Heldenreise für eine kürzere oder längere Geschichte anbietet. Damit bin ich am Ende und wünsche dir eine spannende Heldenreise deines Helden!
Wenn du Lust hast, diese Methode oder viele weitere KREative Schreibansätze kennenzulernen, findest du auf meinem Blog viele Anregungen. Oder du meldest dich für meinen nächsten Online-Schreibkurs an, der ganz bald beginnt:
Der nächste Kurs wird am 09.01.2025 beginnen! Anmeldungen sind ab sofort per Reservierung möglich. Aktuell kann ich noch 4 Plätze (von 10) vergeben 🙂
Ich freue mich darauf, dich kennenzulernen 🙂
Viele Grüße Gabi
Gabi Kremeskötter
Liebe, die durch Worte strahlt
Freie Rede – Schreibworkshops – Lektorat
Liebe Gabi,
danke für Deinen sehr spannenden Blog-Beitrag und insbesondere die praktische Umsetzung in dem ersten Minidrama.
Du hast mir damit das Thema „Heldenreise“ mal wieder ins Gedächtnis gerufen, denn die Gliederung des Ablaufs kam man auch wunderbar für die Positionierungs-Arbeit bei Kunden nutzen. Eine ganz spezielle Kundenlösung verpackt in eine spannende Geschichte ist allemal eine hervorragende Methode, Aufmerksamkeit bei den Kunden zu erzielen, insbesondere wenn man beherzigt, die Kund:innen am Ende als Helden aus der Geschichte hervorgehen zu lassen und sich selbst lediglich die Rolle eines Mentors a la Yoda zuzuweisen.
Lieben Gruß und vielen Dank für die Erinnerung
Heike
Liebe Heike,
herzlichen Dank für deine Gedanken zu meinem Artikel zur Heldenreise.
Deine Herangehensweise finde ich spannend und ohne dich wäre ich gar nicht drauf gekommen, lach.
Tolle Idee! Und ein perfekter Zusammenhang – denn im wahren Leben spielen sich oftmals die ganz besonders wichtigen Heldenreisen ab.
Ich grüße dich, Yoda-Heike!
Gabi
🙂
Liebe Gabi,
genau wie Heike oben in ihrem Kommentar habe ich auch Erinnerungen daran, dass Heldenreisen auch im Marketing ein mächtiges Instrument sind.
Lieber sind sie mir allerdings auch in der Literatur oder Verfilmungen. Danke für Deine Erklärungen und für die Beispiele zu den Mini-Dramen.. Das hab ich mir noch nie so bewusst gemacht.
Liebe Grüße
Britta
Hei Britta,
freue mich über deinen Kommentar zur Heldenreise.
Sind wir nicht alle ein bisschen Heldin?
So kommt es mir auf alle Fälle vor, wenn ich uns in der Lebensmitte stehenden betrachte:-)
Und das ist gut so – das mit der Heldin und der Mitte;-)
Auf das nächste Abenteuer, es kommt bestimmt!
Viele Grüße
Gabi