Was ist die Erzählperspektive?

Veröffentlicht am Kategorisiert in Kreatives Schreiben
Eine in eine Kladde schreibende Hand mit Kugelschreiber

Die drei Erzählperspektiven

Jeder erzählende Text hat eine Stimme, die durch die Geschichte führt. Der Autor wählt ganz bewusst, welche er verwendet, hat jede der Perspektiven schließlich eine ganz bestimmte Funktion für das Leseerlebnis und die Gestaltung der Erzählstruktur. Der Autor ist nicht identisch mit dem Erzähler, der Erzählstimme! Die Autorin erschafft den Erzähler und seine ihm zugedachte Perspektive genauso wie sie die ihre Geschichte konstruiert! Wo der Autor alles über die Erzählung weiß, überträgt er sein Wissen je nach Erzählperspektive in mehr oder weniger umfänglichen Teilen auf seinen Erzähler. Dieses ist ein sehr wichtiges Stilmittel, um den Leser in die Handlung hineinzuziehen. Die Wahl der Erzählperspektive muss somit ganz am Anfang eines jeden Manuskripts stehen und bedarf der konsequenten Umsetzung im gesamten Text.

Drei Stimmen beziehungsweise Erzählsichten, -perspektiven werden unterschieden:

Der personale Erzähler

Der personale Erzähler nimmt die Rolle einer bestimmten Person der Geschichte ein. Aus seiner Sicht wird die Geschichte erzählt als er, sie oder es. Dabei weiß der Erzähler alles über genau diese Person, kennt seine Gedanken und Gefühle, hat seine Erinnerungen und Hoffnungen. Kann zwar aus seiner eigenen Vergangenheit berichten, jedoch nicht in die Zukunft sehen. Die anderen Handelnden der Geschichte werden aus seiner Position heraus beschrieben, in welcher Beziehung er zu ihnen steht, was er über sie weiß und sie ihm berichten.

In komplexeren Geschichte können durchaus mehrere personale Erzähler eingesetzt werden, jedoch ist dann z.B. durch unterschiedliche Kapitel der jeweilige Erzähler vom vorhergehenden deutlich zu trennen.

Beispiel:

Ihr Telefon klingelt, Juli schaut aufs Display und denkt: „Oh, nein, mit DEM hab ich nun absolut keine Lust zu telefonieren.“ Schnell dreht sie es um und das Klingeln hört auf. Wendet sich wieder ihrer Zeitung zu und versucht, den Absatz wieder zu finden, an dem das Klingeln sie unterbrochen hat. Auf der Gesellschafts-Seite liest sie: „Zwei Drittel aller Deutschen haben keine Notvorräte.“ Einmal, zweimal, doch noch immer hat sie den Sinn nicht verstanden. Immer wieder wandern ihre Gedanken zu ihm. Sein Name auf dem Display hat sich eingebrannt, hält Juli fest und sie entdeckt, dass sie letzten Endes dem Drängen nachgeben muss, die Erinnerung hervorholen und sich ihr stellen sollte.

Unterart des personalen Erzählers: Die Ich-Perspektive

Besonders persönlich wird jede Geschichte, wenn sie aus der Ich-Perspektive erzählt wird. Diese Erzählweise schafft sehr viel Nähe zum Lesenden, er wird nicht auf Distanz gehalten sondern behandelt quasi wie ein guter Freund, der alles wissen darf. Der Leser fühlt so viel leichter mit, fiebert mit und die Spannung des Erzählfortschritts kann durch diese Perspektive noch gesteigert werden. Jedes Gefühl, jeder Gedanke des Ich-Erzählers führt zudem zu einer direkteren Identifikation (oder klaren Ablehnung) des Lesenden mit der handelnden Person, die Nähe zum Ich-Erzähler kann größer nicht sein.

Beispiel:

Mein Telefon klingelt, ich schaue aufs Display und denke: Oh, nein, mit DEM hab ich nun absolut keine Lust zu telefonieren. Schnell drehe ich es um und das Klingeln hört auf. Wende mich wieder meiner Zeitung zu und versuche, den Absatz wieder zu finden, an dem das Klingeln mich unterbrochen hat. Auf der Gesellschafts-Seite lese ich: „Zwei Drittel aller Deutschen haben keine Notvorräte.“ Einmal, zweimal, und noch immer habe ich den Sinn nicht wirklich verstanden. Immer wieder wandert mein Gedankenstrom zu ihm. Sein Name auf dem Display hat sich eingebrannt, hält mich fest und ich entdecke, dass ich letzten Endes dem Drängen nachgeben muss. Die Erinnerung hervorholen und mich ihr stellen sollte.

Neutrale Erzählperspektive

Ein Er, eine Sie oder ein Es erzählen die Geschichte, komplett neutral ohne durch eigene Gefühle oder Gedanken in den Erzählstrom einzugreifen oder sich bemerkbar zu machen. Der neutrale Erzähler ist NICHT Teil der erzählten Geschichte! Nur was offen beschrieben wird, ist Teil der Handlung.

Der neutrale Beobachter kann keine eigenen Schlüsse ziehen, sondern gibt lediglich das wieder, was er von außen betrachtet erkennt. Er ist somit kein selbst in der Geschichte Handelnder, sondern gibt nur wieder, was er beobachtet. Wie eine Kamera, die nur ablichtet, was vor ihre Linse läuft. Er kann nur berichten, was er wahrnimmt, nicht in die Zukunft oder Vergangenheit sehen.

Durch diese Erzählperspektive erreicht der Autor oder die Autorin eine größtmögliche Neutralität der Handelnden, nur durch ihr beschriebenes Handeln kann der Leser eigene Rückschlüsse ziehen. Gefühle und Gedanken können nur durch z.B. Gespräche der Handelnden miteinander transportiert werden. Beim szenischen Erzählen bleibt der neutrale Erzähler oftmals sogar komplett verborgen, da sie hauptsächlich durch wörtliche Rede getragen wird.

Beispiel:

Das Telefon klingelt, Juli schaut aufs Display, ohne das Gespräch anzunehmen. Schnell dreht sie ihr Mobiltelefon um und das Klingeln hört auf. Sie wendet sich wieder ihrer Zeitung zu. Auf der Gesellschafts-Seite ist zu lesen: „Zwei Drittel aller Deutschen haben keine Notvorräte.“ Immer wieder fährt sie mit dem Finger über die Zeilen und stockt gedankenverloren.

Auktoriale Erzählperspektive

Die auktoriale Erzählperspektive zeichnet sich dadurch aus, dass der Erzähler allwissend ist. Er kennt alle Hintergründe, die Vergangenheit und kann auch in die Zukunft sehen. Er hat Zugang zu jeglichen Gedanken und Gefühlen der Handelnden, kommentiert und nimmt somit den Lesenden an seine allwissende Hand und leitet ihn durch das Geschehen.

Diese Perspektive ist die sehr umfassende. Der Autor bzw. die Autorin nutzt den auktorialen Erzähler, um auf sehr vielen Ebenen die Verflechtungen ihrer Geschichte aufzuzeigen, ohne dabei nur die Personen der Geschichte zu nutzen. Der auktoriale Erzähler kann nötige Hintergrundinformationen einfließen lassen, kommentieren und Vermutungen äußern, selbst wenn die einzelnen Protagonisten der Geschichte noch gar nicht so weit in ihrem Handeln sind.

Genau wie der neutrale Erzähler ist er jedoch NICHT Teil der eigentlichen Geschichte! Er handelt nicht selbst, schwebt lediglich wie der allwissende Geist über der Story.

Beispiel:

Ihr Telefon klingelt, Juli schaut aufs Display und denkt: „Oh, nein, mit DEM hab ich nun absolut keine Lust zu telefonieren.“ Schnell dreht sie es um und das Klingeln hört auf. Wendet sich wieder ihrer Zeitung zu und versucht vergeblich, den Absatz wieder zu finden, an dem das Klingeln sie unterbrochen hat. Auf der Gesellschafts-Seite steht: „Zwei Drittel aller Deutschen haben keine Notvorräte.“ Einmal, zweimal überfliegt sie den Text, ohne den eigentlichen Sinn zu verstehen. Immer wieder wandert ihr Gedankenstrom zum Anrufer. Jener dunkelhaarige Charmeur, der sie so nachdrücklich beeindruckte, damals und ihre Seele stahl. Sein Name auf dem Display hat sich eingebrannt, hält Juli fest. Wann wird sie entdecken, dass sie dem Drängen nachgeben, die Erinnerung hervorholen und sich ihr stellen sollte?

7 Kommentare

  1. Hi Gaby,
    Deine Beiträge und dein Schreibstil bereiten mir Freude beim Lesen. Es gefällt mir, was du so erzählst.
    Du hast für dich genau das realisiert, was ich schon seit Jahren vor habe. Was mich davon abhält?
    Nun : meine Unkenntnis zu dem Thema Web. Seite und Blog.
    Ich schreibe gerne brauche da aber eine Reflektion….
    Last but not least…Daumen hoch für dein Projekt. Ich freue mich auf den nächsten Beitrag.

    1. Liebe Annette, vielen Dank für deinen Kommentar, das Wesentliche verbindet uns: die Liebe zum Schreiben, der Rest ist Lernen und Handwerk, vor allem: ins Tun kommen😉
      Ich freue mich auf unseren Austausch!
      Herzlichst
      Gabi

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert